Rezensionen - Helmut Wittmann
 

Renzensionen - Helmut Wittmann

Graf, Bernhard: Napoleons Erben. Die Herzöge von Leuchtenberg

 22.06.2022 |  Helmut Wittmann

Am 13. Januar 1806 kam in der Grünen Galerie der Münchner Residenz ein erlauchter Kreis zusammen, „um nach dem neuen französischen Recht der Ziviltrauung des Vizekönigs Eugène von Italien mit Auguste Amalie Prinzessin von Bayern beizuwohnen“ (S. 28). Herausragende Persönlichkeiten waren dabei Napoleon I. Bonaparte, Kaiser der Franzosen, und seine Frau Joséphine de Beauharnais sowie Max I. Joseph – seit wenigen Tagen König von Bayern – und dessen Gemahlin Königin Caroline. Nicht unbegründet veröffentlicht Bernhard Graf diesen Band 200 Jahre nach dem Tod Napoleons auf der Insel Sankt Helena 1821. Doch wie hängt dies alles zusammen?

Diese hoch spannende Geschichte, die insbesondere Bayern berührt, führt durch Heirat zur Verbindung mit zahlreichen europäischen Fürstenhäusern bis zum Zaren von Russland und zum Kaiser von Brasilien.

Die von Napoleon geforderte Verbindung (ansonsten werde er Bayern besetzen) brachte der 17-jährigen Prinzessin viel Kummer, da sie bereits anderweitig verlobt war. Sie willigte aber ein und schrieb an den Vater: „Mein Schicksal wird mir durch das Bewusstsein versüßt werden, dass ich mich für meinen Vater, meine Familie und mein Vaterland geopfert habe“ (S. 27).

Wer war dieser Eugène, der Vizekönig von Italien? Erstmals erfahren wir durch das Werk von Bernhard Graf mehr über diesen besonderen und edlen Charakter. Dies zeigt sich unter anderem im Tiroler Aufstand 1809, bei dem Napoleon seinem Stiefsohn Eugène den Befehl erteilte, die aufständischen Tiroler endgültig zu unterwerfen. Eugène richtete die Worte an Andreas Hofer und seine Schützen: „Tiroler! Wenn Eure Klagen und Forderungen begründet sind, dann, verspreche ich, wird Euch Gerechtigkeit widerfahren“ (S. 44). Die Tiroler kapitulierten nicht; das Ende ist bekannt. Eugène: „Diese Mission sei tausendmal verflucht!“

Nach dem Sturz Napoleons nahm König Max die Familie in München auf. Eugène erhielt vom Wiener Kongress für das verlorene Königreich Italien eine hohe Entschädigung; Schwiegervater Max verlieh ihm den Titel „Herzog von Leuchtenberg“, zudem wurde er 1817 Fürst von Eichstätt. Nun begann er den Bau des Palais Leuchtenberg in München (heute: Finanzministerium), das die Familie mit sechs Kindern 1821 bezog.

Nach dem frühen Tod von Eugène 1824 versuchte dessen Witwe Auguste Amalie, ihre Kinder in den Fürstenhäusern Europas standesgemäß unterzubringen. Die älteste Tochter Joséphine heiratete den schwedischen Kronprinzen Oskar und wurde erste bayerisch-stämmige Königin von Schweden und Norwegen. Ihre Schwester Amélie heiratete Kaiser Dom Pedro I. von Brasilien, die Schwester Eugénie wurde Fürstin von Hohenzollern-Hechingen. Ihr Bruder August ehelichte Königin Maria II. von Portugal und Théodolinde wurde Gräfin von Württemberg. Maximilian, der jüngste Bruder, heiratete 1839 Großfürstin Maria Nikolajewna, die Tochter von Zar Nikolaus I., und begründete damit die russische Linie der Leuchtenbergs, die bis heute weiterbesteht.

In vielen Details schildert Graf die höchst unterschiedlichen Lebensgeschichten der Leuchtenberg-Söhne und -Töchter. So starb Dom Pedro relativ früh und Amélie, die Kaiserinwitwe, kehrte nach Bayern zurück und kaufte Schloss Stein an der Traun sowie das ehemalige Kloster Seeon in der Hoffnung auf eine künftige Verbindung ihrer Tochter mit dem Habsburger Maximilian Erzherzog von Österreich, dem späteren Kaiser von Mexiko. Auch Herzog Maximilian von Leuchtenberg verstarb sehr jung in Russland; sein Sohn Nicolaus führte mit seiner Frau Nadine Gräfin de Beauharnais und den Söhnen Nicolaus und Georg im Chiemgau die russische Linie fort. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs kämpften beide als hohe Offiziere in zaristischen Diensten. Nach dem Ende des Krieges entwickelte sich Seeon zum Sammel- und Treffpunkt von russischen Adeligen und Intellektuellen. Mit dem Zusammenbruch des zaristischen Reiches und damit dem Verlust der Besitzungen in Russland sowie mit der Weltwirtschaftskrise begann auch der wirtschaftliche Abstieg dieser neben den Wittelsbachern bedeutendsten Adelsfamilie in Bayern.

Neben der hohen politischen Bedeutung fällt auch die künstlerische Begabung vieler Familienmitglieder auf. Der Ausgangspunkt dafür war wohl in Auguste Amalie zu sehen, die ihre hochbegabten Zöglinge, angeleitet von ihrem Zeichenlehrer Johann Nepomuk Muxel, der zudem Präsident der Kunstakademie war, besonders förderte. Eine Reihe von Zeichnungen, die vom Autor wiederentdeckt wurden, belegt dies. Bemerkenswert ist dabei, dass in den letzten zwei Generationen die Begabung vom bildnerischen Bereich auf den musikalischen übergegangen war. Das jetzige Oberhaupt des Hauses Leuchtenberg war beruflich Tonmeister und dessen Vater Komponist, Gründer eines Donkosaken-Chores und exzellenter Absolvent der Akademie der Tonkunst in München. Beide dürfen mit Fug und Recht behaupten, dass ihre Urväter königliche beziehungsweise kaiserliche Hoheiten waren.

Die Leuchtenbergs, eine bayerisch-russisch-europäische Adelsfamilie, hat die Geschichte in Bayern und weit darüber hinaus wesentlich mitgeformt. Es ist als besonderer Vorzug dieses Bildbandes anzusehen, dass der Verfasser den Blickwinkel immer aus der jeweiligen Zeit auf die handelnden Personen, die Inhalte und Entwicklungen richtet.

Bernhard Graf, promoviert in Geschichte, Kunstgeschichte und Germanistik sowie durch viele Veröffentlichungen als Experte für die Geschichte Bayerns in dieser Zeit ausgewiesen, versteht es, die Leser bei der Betrachtung dieser großen Dynastie von 1806 bis heute immer wieder in den Bann zu ziehen. Mit den vielen neuen Entdeckungen in Text und Bildern ist es ihm gelungen, ein neues Standardwerk für diese Epoche zu schaffen. Seine Königliche Hoheit Max Emanuel Herzog in Bayern schreibt dazu in seinem Geleitwort: „Besonders beeindruckt das Buch durch seine umfangreichen, zumeist unbekannten Abbildungen zu heute weit verstreuten, schwer auffindbaren Kunstwerken, zu Dokumentationsmaterial und alten Fotografien.“

Für jeden an bayerischer Geschichte und Kunst Interessierten ist dieses Werk, das in enger Zusammenarbeit mit den weit verstreuten Familienmitgliedern und vielen Fachinstitutionen entstanden ist, eine wahre Fundgrube!

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Diese Buchbesprechung hat uns freundlicherweise vom Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege e.V. „Schönere Heimat“ zur Verfügung gestellt.

litera bavarica ist eine Unternehmung der Histonauten und der Edition Luftschiffer (ein Imprint der edition tingeltangel)
in Zusammenarbeit mit Gerhard Willhalm (stadtgeschichte-muenchen.de)


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